Subsidiaritätsklausel (§ 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO)

Die dritte und umstrittenste Zulässigkeitsschranke für die kommunalwirtschaftliche Betätigung ist die Subsidiaritätsklausel.

Im Unterschied zur sog. „einfachen Subsidiaritätsklausel“ (auch als Funktionssperre bezeichnet), wie sie in § 67 Abs. 1 Nr. 3 DGO und bis 1998 auch in der Gemeinde ordnung Rheinland-Pfalz enthalten war, geht die seitdem in § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO normierte „echte“ – auch als „stringente“ oder „verschärfte“ bezeichnete – Subsidiaritätsklausel in ihren Anforderungen an die kommunalwirtschaftliche Tätigkeit wesentlich weiter. Nach dieser Klausel ist die kommunalwirtschaftliche Tätigkeit nur dann zugelassen, wenn der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen privaten Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann. Dies bedeutet, dass Leistungsparität für die Zulässigkeit einer gemeindlichen Tätigkeit nicht ausreichend ist, sondern die Voraussetzung besserer und wirtschaftlicherer Aufgabenerfüllung durch die Kommune gegenüber Privaten erfüllt sein muss. Im Gegensatz zu der einfachen Subsidiaritätsklausel stellt die verschärfte Subsidiaritätsklausel eine deutliche Beschneidung des kommunalen Handlungsspielraums dar. Durch sie wird ein absoluter Vorrang privater Dritter mit einer Umkehr der Beweislast zu Lasten der Städte und Gemeinden festgeschrieben. In der Gesetzesbegründung zur Einführung der verschärften Subsidiaritätsklausel war explizit ausgeführt, durch die Einführung dieser Klausel solle eine ungehemmte wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden und Gemeindeverbände verhindert und diese stärker auf ihre eigentlichen öffentlichen Aufgaben festgelegt werden. Die kommunalen Spitzenverbände hatten bereits im Gesetzgebungsverfahren sowohl die Erforderlichkeit der beabsichtigten Regelung als auch die Argumentation in der Begründung abgelehnt. Bewertet wurde die Rechtsänderung als bedenklicher Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. In einem u. a. gegen die Verschärfung des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO geführten Verfassungsrechtsstreit hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in seinem Urteil vom 28. März 2000 zwar nicht die Verfassungswidrigkeit dieser Norm festgestellt, aber sehr konkrete und eindeutige Klarstellungen vorgenommen und Kriterien zur Auslegung dieser Bestimmung festgeschrieben. Die wesentlichen Feststellungen des Verfassungsgerichtshofs zur verfassungskonformen Auslegung der verschärften Subsidiaritätsklausel sind wie folgt zusammenzufassen:

  • Die Schrankentrias (§ 85 Abs. 1 GemO) gilt nicht für alle Einrichtungen, die in § 85 Abs. 3 GemO (a. F.) (Negativklausel) genannt sind.
  • Bestehende Unternehmen genießen Bestandsschutz, sie dürfen auch dann fortgeführt werden, wenn der öffentliche Zweck ebenso gut und wirtschaftlich durch einen Privaten erfüllt wird oder erfüllt werden kann. Weil das Gesetz keine Rechtsfolge für den Fall des Nicht-Nachweises der Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO (a. F.) vorsieht, kann die Kommunalaufsicht den Rückzug der Gemeinde aus dem Unternehmen nicht erzwingen.
  • Die marktgerechte Ergänzung der angestammten Tätigkeitsfelder kommunaler Unternehmen ist zulässig, soweit es sich um „unwesentliche“ Erweiterungen handelt.
  • Die Kommune darf für eine öffentliche Haupttätigkeit vorhandene, sonst brachliegende, aber noch benötigte Kapazitäten ausnutzen für eine mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene Nebentätigkeit. Nur dauernd entbehrlich gewordene Kapazitäten dürfen nicht aufrechterhalten oder gar derartige neue Kapazitäten zur Gewinnerwirtschaftung außerhalb des öffentlichen Unternehmenszwecks aufgebaut werden.
  • Die Prüfung, ob ein privater Dritter einen öffentlichen Zweck „ebenso gut“ und „ebenso wirtschaftlich“ erfüllen kann, obliegt der Kommune. Diese hat einen Beurteilungsspielraum auch und gerade hinsichtlich der „Güte“ der jeweiligen Leistung. Kriterium für diese Beurteilung ist vor allem die Nachhaltigkeit, d. h. die Dauerhaftigkeit und Zuverlässigkeit der Aufgabenerfüllung. Je wichtiger eine Leistung für den Bürger ist, desto größere Bedeutung kommt einem krisenfesten, stetigen und ungestörten Angebot zu sozial gerechtfertigten Bedingungen zu.
  • Bei dem Wirtschaftlichkeits- und Gütevergleich zwischen kommunalen Verbundunternehmen und privaten Dritten ist maßgeblicher Bezugspunkt das gesamte Unternehmen, nicht etwa nur einzelne Sparten oder Teile. Das Leistungsangebot des Privaten muss sich an der von dem Verbundunternehmen zu erfüllenden Gesamtaufgabe messen lassen.

Der von den kommunalen Spitzenverbänden über Jahre vorgetragene Einwand, dass die verschärfte Subsidiaritätsklausel Unternehmen in kommunaler Trägerschaft an der Teilnahme am Wettbewerb hindere und gegenüber privat getragenen Unternehmen massiv benachteilige, hat das Land vor dem Hintergrund der Öffnung der Versorgungsmärkte und der damit entstandenen Marktsituation im Jahr 2009 veranlasst, eine Gesetzesänderung vorzunehmen, durch die die Wettbewerbsnachteile kommunaler Unternehmen insbesondere im Bereich leitungsgebundener Energie beseitigt werden sollten. Mit dem Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung vom 7. April 2009 wurde die Subsidiaritätsklausel des § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO dahingehend geändert, dass diese Klausel nur noch gilt, wenn sich die Gemeinde außerhalb der Energieversorgung, der Wasserversorgung und des öffentlichen Personennahverkehrs wirtschaftlich betätigt. Durch eine weitere Rechtsänderung im Jahr 2013 wurde die Geltung der Subsidiaritätsklausel konkret für die Bereiche der „Versorgung mit Elektrizität, Gas und Wärme (Energieversorgung)“ und die Versorgung mit Wasser und Breitbandtelekommunikation ausgeschlossen. Um für die kommunalen Unternehmen im Wettbewerb die gleichen Bedingungen wie für die Privatwirtschaft zu schaffen, gilt in den genannten Bereichen nunmehr weder eine Subsidiaritätsklausel noch eine Funktionssperre. Außerhalb dieser Tätigkeiten wurde die stringente Subsidiaritätsklausel allerdings beibehalten. Die kommunalen Spitzenverbände hingegen hatten insoweit die Forderung erhoben, den bis 1998 geltenden Rechtszustand (Funktionssperre) wieder herzustellen.

Autor: RA JUDr. Stefan Meiborg, Dr. Wolfgang Neutz [bis 2018] Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel