Der politische Preis von Fusionen

Nachdem nun dargelegt ist, dass Vorteile von Fusionen nicht nachweisbar sind, weder im Hinblick auf Einspareffekte noch hinsichtlich einer Stärkung der Leistungsfähigkeit, bleibt nun noch der Blick auf mögliche Nachteile einer Fusion.

Bereits im Gutachten ist von „Frustrationskosten“ die Rede. Empirisch umfassender dargelegt sind sie allerdings in den o. g. Studien von Blesse und Rösel. Für Sachsen wurde nach den Fusionen ein Rückgang der Wahlbeteiligung bei Kreistagswahlen um 4 % und in Sachsen-Anhalt um 3 % bis 3,5 % festgestellt. Gleichzeitig stieg der Stimmanteil für rechtspopulistische Parteien. Erklärt wird diese Entwicklung damit, dass die größeren Gebietskörperschaften für die Bürgerinnen und Bürger weniger gut überschaubar und verständlich sind. Damit einher geht ein Schwund an Vertrauen, sich effektiv und kompetent in die Lokalpolitik einbringen zu können. Außerdem sei das Gefühl entstanden, dass sich der Staat aus der Fläche zurückziehe. Zurück bliebe Frustration und ein Gefühl der Heimatlosigkeit, so Blesse und Rösel. Angesichts sinkender Möglichkeiten der Partizipation und demokratischer Kontrolle in größeren Gebietskörperschaften nehme schließlich auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Lokalpolitik und in die Demokratie im Allgemeinen ab.

Der Rückgang der Wahlbeteiligung und die Hinwendung zu rechtspopulistischen Parteien mag für die Meisten von uns eine unverständliche und unangemessene Reaktion auf eine Gebietsreform sein. Das ändert aber nichts daran, dass diese Reaktion von Bürgerinnen und Bürgern festzustellen ist. Sind wir nicht bereit, diesen politischen Preis von Fusionen hinzunehmen, dann sind Gebietsreformen in Zeiten der Globalisierung nicht die richtige Antwort auf Fragen nach einer Verbesserung von Verwaltungsstrukturen. Das gilt umso mehr, seitdem die Stärkung ländlicher Räume im Fokus der politischen Anstrengungen steht. Eine Maßnahme, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in der Stadt und auf dem Land zu gewährleisten, ist unzweifelhaft, im ländlichen Raum eine für die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmbare Verwaltung zu halten, ja sogar zu schaffen. Dadurch werden Arbeitsplätze auf dem Land erhalten oder zusätzlich bereitgestellt und die Erreichbarkeit von Verwaltungsleistungen für die Menschen im ländlichen Raum gefördert. Nun kann man im Rahmen von Gebietsreformen selbstverständlich Verwaltungsstandorte als Außenstellen einer zentralen Kreisverwaltung erhalten. Aber welchen Sinn hat dann noch eine Fusion?

Und auch die von den Befürwortern einer Gebietsreform belächelte Kreisidentität sollte nicht unterschätzt werden. Wissenschaftlich betrachtet mögen Kreisverwaltungen keine typischen „Kontaktverwaltungen“ sein. Tatsächlich aber erfreuen sich Kfz-Kennzeichen, die an Altkreise erinnern, großer Popularität und werden Landkreise ungeachtet aller wissenschaftlicher Thesen von den Bürgerinnen und Bürgern als ihre Heimat angesehen. Unbeachtet bleiben dürfen auch nicht die Ergebnisse einer Repräsentativbefragung für die erste Stufe der Kommunal- und Verwaltungsreform von 2009, wonach 15 % der Befragten, die Gegend, in der sie leben, mit dem Landkreis gleichsetzen; das waren mehr Befragte als die, die mit 9 % die Verbandsgemeinde angaben.

Fusionen schwächen aber auch ein ganz besonders wichtiges Standbein der Kommunalpolitik: das ehrenamtliche Engagement. Sie legen den ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagierten Bürgerinnen und Bürgern längere Wege auf und damit einen noch höheren zeitlichen Aufwand, als er bereits bisher betrieben werden muss. In Zeiten, in denen es zunehmend schwerer wird, angesichts des allgemeinen Zeit- und Termindrucks das ehrenamtliche Engagement mit beruflichen und familiären Verpflichtungen zu vereinbaren, sind solche Nebenfolgen für das auf kommunaler Ebene unverzichtbare Ehrenamt tunlichst zu vermeiden, zumal dann, wenn das Hauptziel der Maßnahme – die Gebietsreform – keine positiven Effekte erwarten lässt.

Last but not least: Längere Wege für Bürgerinnen und Bürger, für ehrenamtliche und hauptamtliche Kommunalpolitikerinnen und –politiker sowie für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Kreisverwaltungen infolge einer Abkehr von einer Dezentralisierung hin zu einer stärkeren Zentralisierung, sind auch angesichts der Bemühungen um den Klimaschutz absolut kontraproduktiv.

Autor: Dr. Daniela Franke Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel