Schweigepflicht

Die Ratsmitglieder sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 GemO in solchen Angelegenheiten zur Verschwiegenheit verpflichtet, die dem Datenschutz unterliegen oder deren Geheimhaltung ihrer Natur nach erforderlich ist. Gemäß § 3 Abs. 1 LDG unterliegen dem Datenschutz personenbezogene Daten. Dies sind Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse bestimmter oder bestimmbarer natürlicher Personen. Für diese Daten gilt das Datengeheimnis. Der Natur der Sache nach besteht eine Pflicht zur Geheimhaltung vor allem dann, wenn dies wegen schutzwürdiger Interessen einzelner Personen erforderlich ist. Hierunter zählen nicht nur die natürlichen Personen, sondern auch juristische Personen und Personenvereinigungen. Schutzwürdig sind insbesondere die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Auch gemeindliche Interessen können ausnahmsweise geheimhaltungsbedürftig sein, soweit es etwa um die Anbahnung von Verträgen geht oder das prozesstaktische Vorgehen in einem von der Gemeinde geführten Rechtsstreit erörtert werden soll. Die Geheimhaltung kann darüber hinaus auch vom Gemeinderat aus Gründen des Gemeinwohls beschlossen werden. Gemeinwohl ist ein vielschichtiger Begriff. Er umfasst die Individualinteressen der Bevölkerung, die gemeindlichen Interessen, aber auch die Interessen des Staates und der übrigen innerstaatlichen Einrichtungen. Mit der Schweigepflicht verbindet sich eine Schutzfunktion. Beschließt der Gemeinderat die Geheimhaltung einer bestimmten Angelegenheit, muss dies auf schutzwürdige Interessen zurückzuführen sein. Die Vorschrift des § 20 Abs. 1 GemO will nicht die Einhaltung einer abstrakten Verschwiegenheitspflicht sichern, sondern wirklich geheim zu haltende Informationen schützen.

Die Schweigepflicht gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen. Offenkundig sind solche Tatsachen, die allgemein oder zumindest einem größeren Personenkreis bekannt sind oder über die aus allgemeinen Informationsquellen Kenntnis erlangt werden kann. Wann dies im Einzelnen zutrifft, lässt sich nicht generell sagen, es kommt entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles an. Ihrer Bedeutung nach bedürfen solche Angelegenheiten keiner Geheimhaltung, die offensichtlich nicht vertraulich sind, d. h. durch deren Bekanntwerden keine schutzwürdigen Interessen verletzt werden können.

Wird eine Angelegenheit in nicht öffentlicher Sitzung behandelt, unterliegen die hier gewonnenen Informationen in der Regel der Geheimhaltung. Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Abweichen vom Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit einerseits und die die Schweigepflicht begründenden Tatbestandsvoraussetzungen andererseits stimmen weitgehend überein. Die Verschwiegenheitspflicht kann jedoch nicht in einseitiger Weise an die förmliche Behandlung in nicht öffentlicher Sitzung angeknüpft werden, ohne die Grundsätze einer offenen demokratischen Kontrolle zu gefährden. Eine solch enge formale Sichtweise ließe sich nicht mit der politischen Stellung der Ratsmitglieder vereinbaren. So können einzelne Aspekte einer Angelegenheit geheimhaltungsbedürftig sein, andere Teile bedürfen hingegen keiner Geheimhaltung oder sind sogar offenkundig. Über den Verkauf von Baugrundstücken, die der Gemeinde im Rahmen eines Umlegungsverfahrens zugeteilt wurden, beschließt der Gemeinderat in nicht öffentlicher Sitzung. Dass die Grundstücke verkauft werden, unterliegt nicht der Geheimhaltung, insbesondere dann nicht, wenn die Gemeinde zuvor die Grundstücke öffentlich zum Kauf angeboten hat. Geheimhaltungsbedürftig sind jedoch die Informationen, die den Ratsmitgliedern über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Käufer bekannt werden, ebenso der Kaufpreis. Informationen aus nicht öffentlicher Sitzung sind daher nur insoweit geheim zu halten, als dies die der Schweigepflicht innewohnende Schutzfunktion erfordert.

Wird eine Angelegenheit der Tagesordnung der nicht öffentlichen Sitzung unter Verletzung des Grundsatzes der Sitzungsöffentlichkeit zugeordnet, ist den Ratsmitgliedern die Flucht in die Öffentlichkeit und damit der Bruch der Schweigepflicht möglich, wenn dies als äußerstes Mittel zur Wahrung der demokratischen Teilhabe erforderlich ist. In einem solchen Fall ist es gerechtfertigt, als Ergebnis der notwendigen Abwägung zwischen den für die Geheimhaltung sprechenden Belangen einerseits und dem Prinzip der Öffentlichkeitsbeteiligung im demokratisch organisierten Gemeinwesen andererseits, auch angesichts des Grundrechts der Meinungsfreiheit der Mandatsträger, die Schweigepflicht zu brechen. Eine Geheimhaltungsbedürftigkeit kann solchen Angelegenheiten, an denen der Bevölkerung nach dem Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit ein Recht auf Information zusteht, der Natur der Sache nach nicht zukommen. Nach der Rechtsprechung ist die Flucht in die Öffentlichkeit jedoch erst möglich, wenn zuvor andere Möglichkeiten der Abhilfe erfolglos geblieben sind. Das Ratsmitglied hat auf eine Umsetzung des Tagesordnungspunktes in die öffentliche Sitzung zu drängen. Bleibt dies ohne Erfolg, ist die Einschaltung der Aufsichtsbehörde ebenfalls eine vorrangige Maßnahme.

Die Schweigepflicht in einer geheim zu haltenden Angelegenheit endet, wenn in der Presse über die Ratssitzung und den in dieser Sitzung gefassten Beschluss berichtet worden ist. Werden hierin nur Mutmaßungen angestellt oder Gerüchte wiedergegeben, so ist die Angelegenheit hierdurch nicht offenkundig geworden und das Ratsmitglied ist im Übrigen weiterhin zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Meinungsäußerungen der Sitzungsteilnehmer und Stimmabgabe der einzelnen Ratsmitglieder in nicht öffentlicher Sitzung sind gemäß § 20 Abs. 1 Satz 4 GemO stets geheim zu halten. Die Pflicht zur Geheimhaltung gilt auch dann, wenn der Tagesordnungspunkt in nicht öffentlicher Sitzung behandelt wurde, die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Abweichen vom Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit jedoch nicht vorgelegen haben. Die im Vertrauen auf die Nichtöffentlichkeit erfolgte Meinungsäußerung bzw. Stimmabgabe soll durch eine absolute Geheimhaltungspflicht geschützt werden.

Die Schweigepflicht besteht gegenüber allen außenstehenden Dritten, nicht jedoch gegenüber solchen Personen, die ebenfalls der Schweigepflicht unterliegen. In Fraktionssitzungen ist darauf zu achten, dass bei der Beratung geheimhaltungsbedürftiger Angelegenheiten nur solche Personen anwesend sind, die selbst zur Verschwiegenheit verpflichtet sind, sei es nach kommunalrechtlichen Vorschriften (Ratsmitglieder, Ausschussmitglieder, Ortsbeiratsmitglieder) oder nach beamtenrechtlichen Vorschriften (Bürgermeister, Beigeordnete und Ortsvorsteher). Parteivertreter, die nicht dem Gemeinderat angehören, Vertreter berührter Bevölkerungskreise und Sachverständige, die als Gäste an einer Fraktionssitzung teilnehmen, dürfen nicht anwesend sein. Die Schweigepflicht gilt auch gegenüber solchen Ratsmitgliedern, die an der Beratung und Entscheidung nicht mitgewirkt haben, weil bei ihnen Ausschließungsgründe vorlagen. Ratsmitglieder können sich auch in geheim zu haltenden Angelegenheiten mittels Aufsichtsbeschwerde an die Aufsichtsbehörde wenden. Der Kommunalaufsicht unterliegen alle Selbstverwaltungsangelegenheiten, also auch solche Angelegenheiten, die geheim zu halten sind. Die Schweigepflicht verbietet nicht nur die Weitergabe von Informationen in mündlicher Form, sondern gebietet, alles zu unterlassen, was die Geheimhaltung gefährden könnte. Hierzu zählt die Weitergabe von geheim zu haltenden Unterlagen oder von Kopien hiervon ebenso, wie das offene Liegenlassen solcher Unterlagen mit der Folge, dass Familienmitglieder unbefugt Einsicht nehmen können oder auch die unsachgemäße Entsorgung von Sitzungsunterlagen mit entsprechendem Inhalt (Weggabe zur Altpapiersammlung). Geheim zu haltende Informationen, die ein Ratsmitglied per E-Mail erhalten hat, sind so zu sichern, dass Unbefugte keinen Einblick nehmen können. Die Information der Vertreter der Presse über geheim zu haltende Vorgänge verstößt auch dann gegen die Schweigepflicht, wenn auf diesem Wege eine rechtswidrige Entscheidung des Gemeinderats publik gemacht werden soll. Die Ratsmitglieder sind zeitlich unbegrenzt und damit über das Ende der Amtszeit hinaus zur Verschwiegenheit verpflichtet.

Das in Art. 47 GG und Art. 95 LV für die Mitglieder des Deutschen Bundestags bzw. die Mitglieder des rheinland-pfälzischen Landtags geregelte umfassende Zeugnisverweigerungsrecht wurde für die Ratsmitglieder in die Gemeindeordnung nicht übernommen. Die kommunalrechtliche Schweigepflicht begründet eine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. Ratsmitglieder sind daher zur Aussageverweigerung über solche Tatsachen berechtigt, auf die sich die Verpflichtung zur Verschwiegenheit bezieht. Von der Schweigepflicht kann Befreiung erteilt werden. Zuständig hierfür ist der Gemeinderat. Ist dies geschehen, sind die Ratsmitglieder zur Aussage verpflichtet. In prozessualen Verfahren ist daher eine Aussagegenehmigung erforderlich, die in Anlehnung an die beamtenrechtlichen bzw. verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften nur versagt werden darf, wenn die Aussage dem Wohl des Bundes, eines Landes oder der Gemeinde Nachteile bringen oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde. Bei der Aussagegenehmigung handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der zu erteilen ist, wenn kein Versagungsgrund besteht. Hierüber entscheidet der Gemeinderat. Der Anspruch auf Erteilung der Aussagegenehmigung besteht auch hinsichtlich der in nicht öffentlicher Sitzung erfolgten Meinungsäußerungen. Dem steht § 20 Abs. 1 Satz 4 GemO nicht entgegen. Zwar sind nach dieser Vorschrift Meinungsäußerungen in nichtöffentlicher Sitzung stets geheim zu halten. Die hierdurch zu gewährleistende unbefangene Meinungsbildung und das hieraus folgende Schutzinteresse der Ratsmitglieder auf freie Meinungsäußerung müssen jedoch dann zurückstehen, wenn im Rahmen einer Abwägung den Interessen des die Aussagegenehmigung begehrenden Dritten der Vorrang einzuräumen ist. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn dieser auf den Widerruf von ehrverletzenden Äußerungen eines Ratsmitglieds klagt.

Verletzt ein Ratsmitglied schuldhaft die Schweigepflicht, kann der Bürgermeister mit Zustimmung des Gemeinderats ein Ordnungsgeld bis zu 500 Euro verhängen (§ 20 Abs. 2 i. V. m. § 19 Abs. 3 GemO). Ob und in welcher Höhe dies geschieht, ist eine Ermessensentscheidung. Das Initiativrecht zur Ahndung des Pflichtverstoßes liegt allein beim Bürgermeister. Der Gemeinderat wirkt durch die Erteilung der Zustimmung, also in Form eines bindenden Mitwirkungsrechts, an der Entscheidung des Bürgermeisters mit, kann diesen jedoch nicht zum Handeln verpflichten. Im Rahmen pflichtgemäßer Ermessensausübung ist bei der Entscheidung, ob und in welcher Höhe ein Ordnungsgeld festgesetzt wird, auf verschiedene Aspekte abzustellen, insbesondere auf die Schwere des Verstoßes und die sich hieraus ergebenden Folgen für die Gemeinde oder hiervon betroffener Dritter. Gegen den Ordnungsgeldbescheid kann unmittelbar Klage beim Verwaltungsgericht erhoben werden (§ 19 Abs. 4 GemO).

Autor: Helmut Lukas, Ralf Schmorleiz Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel