Unterstützungs- und Ausgleichsfunktion der Verbandsgemeinde

Nach § 67 Abs. 7 GemO soll die Verbandsgemeinde Ortsgemeinden, die ihre Aufgaben nicht ausreichend erfüllen können, im Rahmen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit unterstützen und zu einem wirtschaftlichen Ausgleich unter den Ortsgemeinden beitragen. Damit wird den Verbandsgemeinden, bezogen auf Ortsgemeinden, die gleiche Funktion zugewiesen wie durch § 2 Abs. 5 der Landkreisordnung (LKO) den Landkreisen, bezogen auf Verbandsgemeinden und Ortsgemeinden. Zu § 2 Abs. 5 LKO hat das OVG RP in seinem Urteil vom 21. Mai 1993 – 10 C 10178/92.OVG – GuSt, Beilage 11/93 zu Heft 8/93 eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung vorgenommen, die durch spätere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (insbesondere Beschluss vom 24. April 1996 – 7 NB 2.95 – NVwZ 1996, 1222 und Beschluss vom 28. Februar 1997 – 8 N 1.96 – NVwZ 1998, 63) zu modifizieren ist.

Das OVG RP hat in seiner Entscheidung die Auffassung vertreten, die Ausgleichsfunktion könne regelmäßig nur durch die Gewährung allgemeiner, also nicht zweckgebundener Zuweisungen ausgeübt werden. Dies gelte allerdings nur dann, wenn die geringe Finanzkraft einzelner Gemeinden dies erforderlich mache. Demgegenüber komme eine Gewährung zweckgebundener Zuweisungen an Gemeinden nur ausnahmsweise und bei Vorliegen nachstehender Voraussetzungen in Betracht: Erstens müsse die Aufgabenwahrnehmung in die Zuständigkeit der Gemeinde fallen, sich aber über den örtlichen Rahmen hinaus auswirken. Zweitens müsse eine besondere Bedürftigkeit der Gemeinde gegeben sein. Drittens müssen der Entscheidung eine vergleichende Betrachtung der Finanzkraft der kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden und eine Einschätzung im Hinblick auf mögliche überörtliche Auswirkungen der zu fördernden gemeindlichen Betätigung vorausgehen.

Hingegen hat das Bundesverwaltungsgericht in seinen Entscheidungen dargestellt, die verfassungsrechtliche Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung hindere den Landesgesetzgeber nicht, den Landkreisen mittels einer an die mangelnde Leistungsfähigkeit der kreisangehörigen Gemeinden anknüpfenden Generalklausel Aufgaben zuzuweisen, die herkömmlicher Weise mit dem Begriff „Ergänzungs- und Ausgleichsaufgaben“ umschrieben werden. Voraussetzung für die Wahrnehmung dieser Aufgaben sei stets das Fehlen der Leistungsfähigkeit der Gemeinden. Nur wenn und soweit einzelne oder sämtliche kreisangehörigen Gemeinden bestimmte ihnen obliegende Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft deshalb nicht wahrnehmen könnten, weil ihre Verwaltungs- oder Finanzkraft dazu nicht ausreicht, dürfe der Landkreis anstelle der Gemeinden zur Sicherung eines einheitlichen Leistungsniveaus im Kreisgebiet tätig werden (Ergänzungsaufgaben). Zu demselben Zweck dürften Landkreise den kreisangehörigen Gemeinden administrative oder finanzielle Hilfen gewähren, um Unterschiede ihrer Verwaltungs- oder Finanzkraft auszugleichen (Ausgleichsaufgaben).

In zwei Punkten weicht die Rechtsprechung der beiden Gerichte voneinander ab:

 a)Das OVG macht die mangelnde Leistungsfähigkeit an der allgemeinen Finanzschwäche einzelner Gemeinden im Vergleich der Finanzkraft aller kreisangehörigen Gemeinden und Verbandsgemeinden fest. Demgegenüber bezieht das Bundesverwaltungsgericht die mangelnde Leistungsfähigkeit einer Gemeinde auf eine bestimmte, also auf die jeweils wahrzunehmende Aufgabe.
 b)Das OVG hebt hervor, die Landkreise könnten ihre Ausgleichsfunktion regelmäßig nur durch die Gewährung allgemeiner Zuweisungen ausüben, während die Gewährung von Zweckzuweisungen nur unter weiteren Voraussetzungen in Betracht kommt. Hingegen ist das Bundesverwaltungsgericht der Auffassung, die Zweckbindung der Zuschüsse sei für die Wahrnehmung der Ausgleichsfunktion der Landkreise geradezu typisch. Verzichte der Landkreis auf die Zweckbindung und gewähre er den Gemeinden allgemeine Finanzhilfen, so setze er sich zwar nicht dem bundesrechtlichen, wohl aber möglicherweise dem landesrechtlich bedeutsamen Vorwurf aus, er störe mit solchen Hilfen das im jeweiligen Landesgesetz geregelte System des Finanzausgleichs zwischen dem Land und den Gemeinden. Die Voraussetzung „überörtliche Auswirkung einer gemeindlichen Maßnahme“ für die Gewährung von Zweckzuweisungen wird daher nicht erwähnt.

Vor diesem Hintergrund hat das Ministerium des Innern und für Sport (MdI) durch Verfügung vom 2. April 1998, Az. 334/17003-3 (2), gegenüber den Kommunalaufsichtsbehörden mitgeteilt, dass vorbehaltlich einer neuen Entscheidung des OVG RP vorläufig die Gewährung zweckgebundener Kreiszuschüsse an kreisangehörige Gemeinden dann nicht zu beanstanden ist, wenn erstens die eigene Leistungsfähigkeit des Landkreises gegeben ist. Zweitens darf die den Zuschuss empfangende Gemeinde aufgrund mangelnder Verwaltungs- oder Finanzkraft nicht in der Lage sein, die jeweils betroffene örtliche Aufgabe ohne die Unterstützung des Landkreises wahrzunehmen. Bezüglich der Höhe der Förderung hat der Landkreis entsprechend den Unterschieden im Leistungsvermögen der Gemeinden zu differenzieren.

Das OVG RP hat in seinem neueren Urteil vom 8. Dezember 1998 – 7 C 11935/ 97.OVG – AS 27, 279 dazu Stellung genommen, wie sein oben genanntes Urteil vom 21. Mai 1993 im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu bewerten ist. Es hat sinngemäß ausgeführt, dass

  • § 2 Abs. 5 LKO die Landkreise nur dazu ermächtigt, leistungsschwache Gemeinden zu unterstützen und keine Unterstützung nach dem sog. Gießkannenprinzip im Bereich örtlicher Aufgaben rechtfertigt,
  • Zweckzuweisungen dort gerechtfertigt sind, wo insbesondere größere Gemeinden anstelle des Landkreises kreiskommunale Aufgaben erledigen; insoweit nehme der Landkreis eigene Aufgaben nach § 2 Abs. 1 LKO wahr;
  • im entschiedenen Fall die Frage offenbleiben könne, ob über den Rahmen der Wahrnehmung eigener Aufgaben hinaus ein Landkreis Zweckzuweisungen auf der Grundlage von § 2 Abs. 5 LKO gewähren kann; dies sei im Urteil vom 21. Mai 1993 für den Fall nicht ausgeschlossen worden, wenn der überörtliche Bezug der Aufgabe feststellbar ist, lediglich im übrigen Rahmen der Unterstützungsaufgabe sei es als gemeindefreundlicher angesehen worden, auf allgemeine Finanzzuweisungen zurückzugreifen.

In einer Gesamtbetrachtung ist damit in der Entwicklung der Rechtsprechung die Unterstützungsaufgabe der Landkreise nach § 2 Abs. 5 LKO zunehmend zu einem flexiblen Instrument geworden.

Diese Aussagen zu § 2 Abs. 5 LKO sind auf § 67 Abs. 7 GemO zu übertragen. Denn die einschränkenden verfassungskonformen Auslegungen erfolgen vor dem Hintergrund von Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Gemeinden die Zuständigkeit garantiert, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln, während die Gemeindeverbände – also auch die Verbandsgemeinden – nach Artikel 28 Abs. 2 Satz 2 GG lediglich im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereichs nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung haben. Demnach können die Verbandsgemeinden an Ortsgemeinden auf der Grundlage von § 67 Abs. 6 GemO unter Beachtung der vorgenannten Voraussetzungen Zuweisungen gewähren.

Die Unterstützungsfunktion der Verbandsgemeinde ist in den letzten Jahren häufig eingefordert worden, weil Ortsgemeinden als Standortgemeinde eines größeren oder regional oder gar landesweit bedeutsamen Gewerbe- und Industriegebiets in ihrer Leistungsfähigkeit überfordert waren. Die Verbandsgemeinde kann ihr unter den Voraussetzungen der eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit und der mangelnden Finanzkraft der Ortsgemeinde auf der Grundlage von § 67 Abs. 7 GemO in folgender Weise nachkommen:

  • Gewährung einer Zweckzuweisung zum Ausgleich der besonderen Belastung der Standortgemeinde,
  • Abschluss eines Erschließungsvertrags mit der Ortsgemeinde auf der Grundlage von § 124 Abs. 1 BauGB,
  • Beteiligung der Verbandsgemeinde neben der Standortgemeinde an einem Zweckverband, der die Trägerschaft übernimmt und insbesondere die Erschließung durchführt.
Autor: Dr. Karl-Heinz Frieden, Stefan Heck Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel