Rechtspolitische Zielsetzung und Bedeutung

Wer berufen ist an kommunalen Entscheidungen mitzuwirken, soll sich ausschließlich am Gemeinwohl orientieren (vgl. für die Ratsmitglieder § 30 Abs. 1 der Gemeindeordnung - GemO -). Gerade im kommunalen Bereich geht es jedoch häufig nicht um allgemeine Fragestellungen ohne persönliche Betroffenheit, sondern um Einzelfallentscheidungen, die bei kommunalpolitisch Verantwortlichen zu Interessenkollisionen und damit zu Konfliktsituationen führen können, die es zu vermeiden gilt. Deshalb regelt § 22 GemO (und entsprechend § 16 der Landkreisordnung für die Ebene der Landkreise) Ausschließungsgründe (Mitwirkungsverbot wegen Sonderinteresses) für alle Einwohner und Bürger, die in der Gemeinde ein Ehrenamt oder eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben, sowie für die hauptamtlichen Bürgermeister und Beigeordneten.

Die rechtspolitischen Ziele dieser Regelungen sind im Wesentlichen:

  1. Es soll verhindert werden, dass sich kommunale Entscheidungsträger bei ihren Entscheidungen von Motiven leiten lassen, die nicht am Gemeinwohl orientiert, sondern durch eigene Interessen bestimmt sind. Insofern ist § 22 GemO auch Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips (Artikel 20 Abs. 3 des Grundgesetzes).
  2. Durch das Mitwirkungsverbot soll das Vertrauen der Bevölkerung in die „Sauberkeit der Ratsarbeit“ erhalten und damit auch schon der „böse Schein“ vermieden werden, kommunale Entscheidungsträger ließen sich von eigenen Motiven leiten.
  3. Den Entscheidungsträgern sollen Konfliktsituationen erspart werden, die unausweichlich wären, wenn es abzuwägen gälte zwischen den Interessen der Kommune und eigenen Interessen bzw. den Interessen nahe stehender Personen.

Auf der anderen Seite ist jedoch zu sehen, dass nicht jedes irgendwie geartete Individualinteresse zu einem Mitwirkungsverbot führen kann. Denn sonst wäre das Recht des Mandatsträgers auf Mitwirkung an der Beratung und Entscheidung allzu stark und ohne klare rechtliche Kontur beschränkt. Hinzu kommt, dass Mitwirkungsverbote beim konkreten Verhandlungsgegenstand die Zusammensetzung des Rats oder sonstigen Beratungs- oder Entscheidungsgremiums verändern und damit sehr schnell auch politische Mehrheitsverhältnisse berühren können. Evtl. droht - trotz der Sonderregelung in § 39 Abs. 2 GemO - sogar Beschlussunfähigkeit. Deshalb verbietet sich eine zu weit gehende Interpretation der Ausschließungsgründe.

Bei diesem Spannungsverhältnis kommt der Prüfung der Ausschließungsgründe in der kommunalen Praxis erhebliche Bedeutung zu. Wegen der gravierenden Rechtsfolgen einer fehlerhaften Anwendung des § 22 GemO (Unwirksamkeit von Entscheidungen) bedarf es im Einzelfall einer sorgfältigen Prüfung, die jedoch durch die Komplexität der gesetzlichen Regelung und der Vielzahl der hierzu ergangenen Gerichtsentscheidungen oftmals schwierig ist. Deshalb können die nachfolgenden Ausführungen die Thematik nur anreißen.

Autor: Hubert Stubenrauch Drucken nächstes Kapitel