Sachliche Voraussetzungen

  1. Zusätzlich zum Vorliegen einer der persönlichen Voraussetzungen ist für ein Mitwirkungsverbot schließlich erforderlich, dass die Entscheidung dem Betroffenen einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil bringen kann bzw. dieser an der Entscheidung ein unmittelbares persönliches oder wirtschaftliches Interesse hat, wobei diese Begriffe synonym sind. Denn es besteht kein rechtlicher Unterschied zwischen einem unmittelbaren Vor- oder Nachteil und einem unmittelbaren persönlichen oder wirtschaftlichen Interesse.

  2. Sofern der Mandatsträger nicht in eigener Person betroffen ist (Selbstbetroffenheit, s. vorstehend V. 1.), ist auf die von der Entscheidung unmittelbar berührte Person abzustellen, also den Verwandten, den Arbeitgeber, den Verein usw.: Kann dieser Person die gemeindliche Entscheidung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen, so ist der mit ihm in der dargestellten Weise „verbundene“ Mandatsträger wegen Interessenwiderstreits auszuschließen.

  3. „Vorteil oder Nachteil“ ist jede Auswirkung, die den Betroffenen besser oder schlechter stellt. Wie sich aus der gleichbedeutenden Formulierung „persönliches oder wirtschaftliches Interesse“ erschließt, sind nicht nur materielle Interessen relevant. Auch ideelle Interessen (z. B. das persönliche Ansehen, der „gute Ruf“) können zu einem Mitwirkungsverbot führen.

    Der Eintritt des Vor- oder Nachteils muss keine sichere bzw. zwangsläufige Folge der Entscheidung sein, was sich aus der Formulierung „… bringen kann“ ergibt. Andererseits genügt nicht jede noch so vage Möglichkeit, dass sich aus der Entscheidung Vor- oder Nachteile ergeben. Entscheidend ist vielmehr, ob hierfür nach allgemeiner Lebenserfahrung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (im Sinne von: „Damit muss man rechnen“) anzunehmen ist.

  4. Das Hauptproblem der sachlichen Voraussetzung ist, dass ein Mitwirkungsverbot nur dann eintritt, wenn der mögliche Vor- oder Nachteil durch die Entscheidung unmittelbar bewirkt wird. Dabei ist zu beachten, dass die Entscheidungen kommunaler Gremien sich in den allermeisten Fällen nicht selbst vollziehen, sondern noch der Ausführung durch den Bürgermeister bzw. die Verwaltung bedürfen. Deshalb entfaltet eine Ratsentscheidung auch dann unmittelbare Folgen, wenn sich notwendigerweise hieran noch Ausführungshandlungen anschließen, diese jedoch inhaltlich nur einen formalen Akt darstellen und für den Bürgermeister bzw. die Verwaltung kein eigener Entscheidungsspielraum mehr verbleibt. So z. B. bei einem Ratsbeschluss über die Stundung einer Steuerforderung oder über den Verkauf eines gemeindlichen Grundstücks: Hier sind der Erlass des Stundungsbescheides bzw. der notarielle Abschluss des Kaufvertrags durch den Bürgermeister zwangsläufige Folge der Ratsentscheidung, ohne dass hier noch ein maßgeblicher Gestaltungsspielraum verbliebe.

    Bei Satzungsbeschlüssen liegt im Regelfall keine Unmittelbarkeit vor. Satzungen sind Rechtsnormen („Ortsgesetze“) und enthalten im Normalfall generell-abstrakte Regelungen, die auf den späteren Einzelfall anzuwenden sind. Häufig ist im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses ungewiss, ob und wann welcher Einzelfall nach Maßgabe der Satzung zu beurteilen ist (z. B. Satzung über Friedhofsgebühren). Bei der Beratung und Beschlussfassung über Satzungen besteht deshalb grundsätzlich kein unmittelbares individuelles Sonderinteresse, sondern ein allgemeines und gleichförmiges Gruppeninteresse (s. vorstehend III. zu § 22 Abs. 3 GemO).

    Anders jedoch, wenn eine Satzung nicht (nur) abstrakt-generelle, sondern (auch) individuell-konkrete Regelungen enthält. Hauptanwendungsfall ist hier der – als Satzung zu beschließende (§ 10 Abs. 1 BauGB) – Bebauungsplan. Dieser enthält nicht nur allgemeine Regelungen (zumeist als textliche Festsetzungen), sondern „parzellenscharf“ für jedes einzelne Grundstück des Planbereichs konkrete Regelungen über die Art und Weise der Nutzbarkeit und Bebaubarkeit. Deshalb unterliegen Rats- und Ausschussmitglieder, die (oder deren mit ihnen „verbundene Personen“) Grundstückseigentümer im Plangebiet sind, im gesamten Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans dem Mitwirkungsverbot. Im Gegensatz hierzu liegen bei der Aufstellung und Änderung eines Flächennutzungsplans trotz potenzieller Betroffenheit grundsätzlich keine Mitwirkungsverbote vor, da dessen Darstellungen im Regelfall noch nicht geeignet sind, unmittelbare Vor- oder Nachteile auszulösen. Weiteres hierzu im Anhang unter „Bebauungsplan“ und „Flächennutzungsplan“.

    Unmittelbarkeit bedeutet nicht, dass es nur auf die letzte Sitzung ankäme, in der die abschließende Entscheidung zu treffen ist. Abzustellen ist vielmehr darauf, ob diese bevorstehende Entscheidung einen unmittelbaren Vor- oder Nachteil bringen kann. Wenn dies der Fall ist, erstreckt sich das Mitwirkungsverbot grundsätzlich auch auf Vorentscheidungen (z. B. Grundsatzbeschlüsse) sowie auf alle vorberatenden gemeindlichen Ausschüsse und Gremien.
Autor: Hubert Stubenrauch Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel