6. Verträglichkeit forstwirtschaftlicher Maßnahmen in NATURA 2000-Gebieten
In Rheinland-Pfalz sind in mehreren Verfahren insgesamt 120 FFH-Gebiete mit ca. 257.000 Hektar Fläche und 57 Vogelschutzgebiete mit ca. 243.000 Hektar Fläche ausgewiesen worden. Da sich die FFH- und Vogelschutzgebiete teilweise überschneiden, sind in der Summe ca. 380.000 Hektar NATURA 2000-Gebiete vorhanden. Dies entspricht etwa 20 % der Landesfläche. Der Waldanteil in den NATURA 2000-Gebieten liegt bei 78 %. Davon ist der Körperschaftswald mit 44 % am stärksten betroffen (Staatswald 33 %, Privatwald 23 %).
Gemäß § 33 Abs. 1 BNatSchG sind alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines NATURA 2000-Gebiets in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen können, unzulässig (gesetzliches Verschlechterungsverbot). Zweck der Unterschutzstellung ist nach § 17 Abs. 2 Satz 2 LNatSchG die Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes bestimmter natürlicher Lebensraumtypen sowie Tier- und Pflanzenarten.
Welche konkreten Ziele und Maßnahmen in den einzelnen FFH- und Vogelschutzgebieten verfolgt werden, beinhalten die Managementpläne (Bewirtschaftungspläne). Für diese Pläne ist der gebietsbezogene Begriff eines günstigen Erhaltungszustandes maßgeblich. Nach § 17 Abs. 3 LNatSchG werden die erforderlichen Maßnahmen von der oberen Naturschutzbehörde im Benehmen mit den kommunalen Planungsträgern und unter Beteiligung der Öffentlichkeit in Bewirtschaftungsplänen dargestellt. Diese werden von der oberen Naturschutzbehörde bekannt gemacht. Sie sind Leitlinie staatlichen Handelns und beinhalten keine parzellenscharfe Maßnahmenfestlegung. Auch haben die Pläne, über das gesetzliche Verschlechterungsverbot hinausgehend, keine direkte rechtliche Verbindlichkeit für die kommunalen und privaten Grundeigentümer.
Im April 2022 sind bundesweite Empfehlungen zur Sicherstellung der naturschutzrechtlichen Verträglichkeit forstwirtschaftlicher Maßnahmen in NATURA 2000-Gebieten veröffentlicht worden. Damit werden Konsequenzen aus einer Entscheidung des OVG Bautzen aus dem Jahr 2020 gezogen. Der jährliche Forstwirtschaftsplan wird seitens des Gerichts als Projekt im Sinne von § 34 Abs. 1 BNatschG eingestuft. Es sei nicht auszuschließen, dass die vorgesehenen Maßnahmen zu einer erheblichen Beeinträchtigung des NATURA 2000-Gebietes führen. Das Gericht rügt die unterlassene FFH-Verträglichkeitsprüfung von forstwirtschaftlichen Maßnahmen im Rahmen der Forstwirtschaftsplanung.
Die bundesweiten Empfehlungen formulieren als Grundsatz, dass die Waldbewirtschaftung in NATURA 2000-Gebieten entsprechend dem integrativen Leitbild zulässig oder zur Wahrung des günstigen Erhaltungszustandes in bestimmten Waldlebensraumtypen sogar erforderlich ist. Im Rahmen der Waldbewirtschaftung ist aber zuverlässig und nachprüfbar Vorsorge zu treffen, dass die geplanten forstwirtschaftlichen Maßnahmen nicht zu erheblichen Beeinträchtigungen von NATURA 2000-Schutzgütern führen. Dies liegt im vitalen Interesse der Waldbesitzenden selbst, zumal Verstöße gegen das Verschlechterungsverbot zum Teil strafrechtsbewehrt sind. Zwei Wege kommen in Betracht, nämlich die integrierte Bewirtschaftungsplanung und die Prüfung forstwirtschaftlicher Maßnahmen im Einzelfall.
Ein integrierter Bewirtschaftungsplan liegt vor, wenn in der mittelfristigen Betriebsplanung die gebietsspezifischen Erhaltungs- und Wiederherstellungsziele vollständig beachtet werden. Die Verträglichkeit der geplanten forstlichen Maßnahmen ist auf diesem Wege verifiziert und bestätigt. Das fachlich zuständige Ministerium hat im Oktober 2023 eine zwischen Forst- und Naturschutzabteilung abgestimmte Grundsatzanweisung zur Integration der NATURA 2000-Verträglichkeit in die mittelfristige Betriebsplanung veröffentlicht. Planabweichungen gegenüber dem integrierten Bewirtschaftungsplan sind allerdings separat prüfungsbedürftig. Dies betrifft beispielsweise ungeplante Kalamitäts- oder Verkehrssicherungshiebe.
Als zweiter Weg stehen die Prüfung und die Dokumentation geplanter forstwirtschaftlicher Maßnahmen im Einzelfall zur Verfügung. Hierzu dient die Checkliste „NATURA 2000-Erheblichkeitsabschätzung“. Ein maßgeblicher Zweck ist, das örtliche Forstpersonal im Falle eines Rechtsstreits mit Hilfe der vorgegebenen Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation abzusichern (vergleichbar der Verkehrssicherungspflicht im Wald). Erscheint eine geplante Maßnahme geeignet, erhebliche Beeinträchtigungen von Schutzgütern auszulösen, so hat der Waldbesitzende diese bei der Naturschutzverwaltung vorab anzuzeigen (§ 34 Abs. 6 BNatSchG) und die erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Je ungünstiger der Erhaltungszustand potenziell berührter Schutzgüter und je häufiger, großräumiger und/oder langfristiger wirksam die geplante Maßnahme, umso eher ist eine Anzeige (und in der Folge ggf. eine Verträglichkeitsprüfung) veranlasst.
Der Gemeinde- und Städtebund ist der Auffassung, dass die zweifellos bedeutsame Rechtssicherheit für Waldbesitzende wie für forstliche Bedienstete in der Fläche nicht mit einem unverhältnismäßigen bürokratischen Aufwand einhergehen darf. Regelungen müssen handhabbar bleiben. Schließlich hat die über Jahrzehnte praktizierte Waldbewirtschaftung maßgeblich zum Entstehen des heute naturschutzfachlich schützenswerten Zustands beigetragen.
Für den Gemeinde- und Städtebund ist ferner bedeutsam, dass die mittelfristige Betriebsplanung von ihrem Grundcharakter her keine naturschutzfachliche Planung ist. Vielmehr setzt sie als forstbetriebliches Planungs- und Steuerungsinstrument die Eigentümerziele um. Verknüpfungen zwischen den forstbetrieblichen Planungen und den behördlichen Managementplänen für NATURA 2000-Gebiete sind unter Effizienzgesichtspunkten aber zweifellos geboten.
Der Gemeinde- und Städtebund fordert, dem Vertragsnaturschutz in der Umsetzungspraxis verpflichtenden Vorrang (auch) im Wald einzuräumen (vgl. § 17 Abs. 4 LNatSchG) und eine finanzielle Mittelausstattung in ausreichendem Umfang zu gewährleisten. Schließlich sind die Managementpläne für die Waldbesitzenden häufig mit Bewirtschaftungseinschränkungen und erhöhten Anforderungen verbunden.