V. Das Europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000

Natura 2000 ist das europäische Schutzgebietsnetz zur Erhaltung seltener wildlebender Tier- und Pflanzenarten bzw. Lebensräume. Das Schutzgebietsnetz setzt sich zusammen aus den sog. FFH-Gebieten (Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung) gemäß der europäischen FFH-Richtlinie (Habitat-Richtlinie, FFH-RL)[1] von 1992 sowie den (Europäischen) Vogelschutzgebieten gemäß der sog. Vogelschutzrichtlinie (VRL)[2] von 2009. In den FFH-Gebieten wird dabei nach prioritären und nicht prioritären Arten bzw. Lebensraumtypen unterschieden. Zu den prioritären Arten und Lebensräumen gehören beispielsweise Wolf und Steinkrebs, Schluchtwälder und Hochmoore.

Natura 2000-Gebiete dienen dazu, die Erhaltung der biologischen Vielfalt zu fördern und dabei die wirtschaftlichen, kulturellen und regionalen Anforderungen zu berücksichtigen. Damit soll ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung geleistet werden (vgl. die Erwägungsgründe zur FFH-RL). Die Auswahl und Unterschutzstellung sowie das Management der Natura 2000-Gebiete ist Aufgabe der staatlichen Naturschutzverwaltung der Länder.

Die förmliche Unterschutzstellung von Natura 2000-Gebieten erfolgte in Rheinland-Pfalz 2005 unmittelbar kraft Gesetzes (§ 17 Abs. 2 LNatSchG, Anlagen 1 und 2). Dabei handelt es sich um eine eigenständige Schutzkategorie, die nicht mit der eines Naturschutzgebiets gleichzusetzen ist. Eine gesonderte Unterschutzstellung in Form beispielsweise einer Rechtsverordnung erübrigt sich somit.

Die gesetzlich geschützte Gebietskulisse umfasst aktuell 120 FFH-Gebiete mit einer Gesamtfläche von rund 257.000 ha, das sind ca. 13 Prozent der Landesfläche; weiterhin 57 Vogelschutzgebiete mit einer Fläche von rund 242.000 ha, das sind ca. 12 Prozent der Landesfläche. Da sich die Flächen der beiden Gebietsarten z. T. erheblich überschneiden, liegt die Gesamtfläche bei rund 385.000 ha (ca. 19 Prozent der Landesfläche). Das größte zusammenhängende Natura 2000-Gebiet in Rheinland-Pfalz ist das Biosphärenreservat Pfälzerwald mit rund 35.000 ha, das kleinste eine 9 ha große Ackerflur bei Ulmet (Landkreis Kusel) zum Schutz der Dicken Trespe, einem seltenen Ackerwildgras. Alle Informationen über die einzelnen Gebiete und die jeweils unter Schutz stehenden Arten bzw. Lebensraumtypen finden sich im Detail und mit entsprechenden Karten hinterlegt im Informationssystem LANIS der Naturschutzverwaltung.[3]

Schutzziel für die Natura 2000-Gebiete ist gemäß Art. 3 FFH-RL der so genannte „günstige Erhaltungszustand“; das entspricht einem geringen Gefährdungsgrad, dieser ist zu erhalten bzw. zu entwickeln. Maßstab ist dabei nicht das einzelne Individuum der geschützten Art, d. h. nicht das einzelne Tier oder die einzelne Pflanze, sondern der Bestand der lokalen Population einer Tier- oder Pflanzenart bzw. eines Lebensraumtyps in dem Gebiet. Dies trägt der natürlichen Dynamik Rechnung, so dass sich beispielsweise eine lokale Population innerhalb des Gebietes auch räumlich verändern kann.

Für jedes einzelne Gebiet gibt es – ebenfalls über LANIS abrufbar[4] – einen sog. Gebietssteckbrief, aus dem auch die jeweiligen sehr allgemein und abstrakt gehaltenen Erhaltungsziele ersichtlich sind.[5] Die jeweils konkret zur Erreichung dieser Ziele erforderlichen Maßnahmen werden durch gesonderte Bewirtschaftungspläne dargestellt (§ 17 Abs. 3 LNatSchG). Für diese Fachplanung sind die oberen Naturschutzbehörden im Benehmen mit den kommunalen Planungsträgern zuständig. Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt vorrangig durch vertragliche Vereinbarungen, z. B. mit den Bewirtschaftern der Flächen. Nur wenn solche nicht zustande kommen, darf die Behörde ggf. notwendige Anordnungen treffen (§ 17 Abs. 4 LNatSchG).

Der aktuelle Stand der Bewirtschaftungspläne, die jeweils geplanten Maßnahmen sowie eine zugehörige FAQ-Liste stehen über LANIS zur Verfügung.[6]

Natura 2000-Gebiete sind zwar keine Totalreservate, unzulässig sind aber alle Veränderungen und Störungen, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteile führen können (Erheblichkeitsschwelle, § 33 Abs. 1 BNatSchG). Soweit es sich bei dem Vorhaben um ein „Projekt“ oder einen „Plan“ im Sinne der Habitat-RL handelt, erfolgt die Prüfung auf diese Erheblichkeit nach einem gesetzlich geregelten Verfahren (Verträglichkeitsprüfung). Als Projekte gelten insbesondere alle Vorhaben, die einer behördlichen Genehmigung oder Anzeige bedürfen, sowie Eingriffe in Natur und Landschaft gemäß § 18 BNatSchG; außerdem alle nach BImSchG und WHG genehmigungsbedürftigen Anlagen bzw. Benutzungen, soweit sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten (Summationswirkungen) geeignet sind, erhebliche Beeinträchtigungen zu verursachen. Pläne sind dementsprechend vorgelagerte Verfahren, die bei behördlichen Entscheidungen zu beachten sind. Dazu gehört auch die kommunale Bauleitplanung.

Die o. g. Verträglichkeitsprüfung ist in jedem Einzelfall vor der Zulassung einer Maßnahme oder eines Vorhabens bzw. vor dem Planbeschluss durchzuführen (§ 34 Abs. 1 bis 5 BNatSchG). Dieses mehrstufige und recht komplexe Prüfverfahren ist in Rheinland-Pfalz unselbständiger Bestandteil des jeweils durchzuführenden Zulassungs- bzw. Planungsverfahrens; zuständig ist die dafür zuständige Fachbehörde im Benehmen mit der gleichgeordneten Naturschutzbehörde (§ 18 Abs. 1 LNatSchG). Diese Prüfung ist auch im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung analog durchzuführen (§ 1 a Abs. 4 BauGB mit Verweis auf das BNatSchG).

Führt diese Prüfung zu dem Ergebnis, dass keine erhebliche Beeinträchtigung zu besorgen ist, ist das Projekt bzw. der Plan zulässig und darf durchgeführt werden.

Kann eine erhebliche Beeinträchtigung dagegen nicht ausgeschlossen werden, ist das Projekt bzw. der Plan zunächst einmal unzulässig. Es kann dann nur noch im Rahmen eines Ausnahmeverfahrens zugelassen werden. Dazu muss zumindest einer der besonderen Ausnahmetatbestände nach § 34 Abs. 3 bis 5 BNatSchG vorliegen. Dies ist dann der Fall, wenn es keine zumutbaren Alternativen ohne bzw. mit geringeren Beeinträchtigungen gibt und zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden können. Der Begriff der öffentlichen Interessen ist dabei weit auszulegen; dazu gehören auch solche sozialer oder wirtschaftlicher Art (z. B. Sicherung von Arbeitsplätzen, Verbesserung der regionalen Infrastruktur). Sind prioritäre Lebensräume oder Arten betroffen, gelten allerdings noch strengere Voraussetzungen für eine Ausnahmegenehmigung; dort dürfen nur solche im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Verteidigung und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder den maßgeblich günstigen Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt berücksichtigt werden; darüber hinaus gehende Gründe bedürfen einer befürwortenden Stellungnahme der EU-Kommission. Kommt eine solche Ausnahme zur Anwendung, sind zeitgleich Maßnahmen zu ergreifen, die die erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele (an anderer Stelle) wieder ausgleichen (sog. Kohärenzmaßnahmen). Zur Umsetzung dieser Anforderungen wird auf die einschlägigen Kommentierungen bzw. die Rechtsprechung verwiesen.

In Rheinland-Pfalz liegen die Natura 2000-Gebiete zum weit überwiegenden Teil im Wald. Der Anteil bei den FFH-Gebieten liegt bei ca. 70 Prozent, bei den Vogelschutzgebieten vermutlich noch darüber. Wegen der Auswirkungen auf den Gemeindewald und den im Einzelfall notwendigen Maßnahmen wird auf den Beitrag zum Gemeindewald (s. hier S. 545 ff.) verwiesen.


[1]   Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. EG L 206, S. 7; in der jeweils geltenden Fassung.

[2]   Richtlinie 2009/147/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten vom 30. November 2009, ABl. EG L 20, S. 7 (kodifizierte Fassung der ursprünglichen Vogelschutzrichtlinie 79/409/EWG von 1979), in der jeweils geltenden Fassung.

[3]   Siehe unter https://geodaten.naturschutz.rlp.de

[4]   Siehe ebenfalls unter https://geodaten.naturschutz.rlp.de

[5]   Landesverordnung über die Erhaltungsziele in den Natura 2000-Gebieten vom 18. Juli 2005, GVBl. S. 323, in der jeweils geltenden Fassung.

[6]   Siehe unter natura2000.rlp.de

Autor: Dr. Barbara Manthe-Romberg, Dr. Thomas Rätz Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel