1. Ausgangslage

Nach der bisherigen Regelung des § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) alte Fassung (a. F.) handeln juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) und somit auch die kommunalen Gebietskörperschaften nur als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts, sofern sie im Rahmen eines Betriebs gewerblicher Art (BgA) oder ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe unternehmerisch tätig werden.

Gemäß Abschnitt 2.11 Abs. 4 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE) gelten die im Rahmen der Körperschaftsteuer entwickelten Grundsätze auch für das Umsatzsteuerrecht. Nach der Altregelung war somit zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines BgA im Sinne von § 1 Abs. 1 Nummer 6 in Verbindung mit § 4 Körperschaftsteuergesetz (KStG) vorlagen. Einen BgA stellen danach alle Einrichtungen der jPdöR dar, die einer nachhaltigen wirtschaftlichen Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen dienen und sich innerhalb der Gesamtbetätigung der jPdöR herausheben. Das Vorliegen eines Hoheitsbetriebs i. S. d. § 4 Abs. 5 KStG oder bloße Vermögensverwaltung schließen das Bestehen eines BgA aus. Die Absicht, Gewinn zu erzielen und die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sind nicht erforderlich.

Leistungen außerhalb eines BgA, d. h. Leistungen, die dem hoheitlichen Bereich oder aber dem Bereich der Vermögensverwaltung zuzuordnen sind, sind nach der „Altregelung“ nicht umsatzsteuerbar.

In den Bereich der Leistungen eines Hoheitsbetriebs fallen insbesondere die Amtshilfe sowie die auf kommunaler Ebene sehr bedeutsamen sogenannten Beistandsleistungen, die z. B. durch interkommunale Zusammenarbeit oder die Mitgliedschaft in Zweckverbänden entstehen können.

Die Norm des § 2 Abs. 3 UStG a. F. des deutschen Gesetzgebers weicht in seiner grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2016 gültigen Fassung inhaltlich stark von den europaweit einheitlichen, für nationale Regelungen verpflichtend zu beachtenden Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystRL) ab. Gemäß Artikel 9 Abs. 1 und 13 Abs. 1 der MwStSystRL sind jPdöR (aus umsatzsteuerlicher Sicht) Unternehmer, wenn sie eine wirtschaftliche Tätigkeit selbstständig ausüben; sie gelten nicht als Unternehmer soweit sie Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben und dies nicht zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt.

In Deutschland hat die höchstrichterliche Rechtsprechung – im Wesentlichen basierend auf Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 16. September 2008 (Az. C 288/07) und vom 4. Juni 2009 (Az. C 102/08) – nach mehreren Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH), insbesondere dem Urteil vom 10. November 2011 (Az. V R 41/10, „Sporthallenüberlassung“), die zwingende Notwendigkeit einer zukünftig korrekten Auslegung und Beachtung der MwStSystRL betont und festgelegt,

  • dass eine jPdöR, wenn sie auf privatrechtlicher Grundlage und zu den gleichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer entgeltliche Leistungen erbringt, insoweit stets unternehmerisch tätig wird, ohne dass es auf weitere Voraussetzungen ankäme, und
  • wenn die jPdöR auf Basis öffentlich-rechtlicher Sonderregelung agiert, zwingend zusätzlich zu prüfen ist, ob die Nichtbesteuerung mit Umsatzsteuer zu „größeren Wettbewerbsverzerrungen“ führen würde.

Um einem Vertragsverletzungserfahren der Europäischen Union zu entgehen, hat der deutsche Gesetzgeber durch Artikel 12 des Steueränderungsgesetzes 2015 vom 2. November 2015 (BGBl. I, S. 1834) die Regelungen zur Unternehmereigenschaft von jPdöR neu gefasst bzw. grundlegend geändert. Die Änderungen sind am 1. Januar 2016 in Kraft getreten und für Besteuerungszeiträume ab dem 1. Januar 2017 grundsätzlich anzuwenden. Es gibt allerdings eine optionale Übergangsregelung, nach der die Anwendung des § 2 Abs. 3 UStG in der am 31. Dezember 2015 geltenden Fassung (§ 2 Abs. 3 UStG a. F.) weiterhin möglich ist. Nach § 27 Abs. 22 Satz 3 UStG konnten jPdöR dem Finanzamt gegenüber einmalig erklären, dass sie § 2 Abs. 3 UStG in der am 31. Dezember 2015 geltenden Fassung für sämtliche nach dem 31. Dezember 2016 und vor dem 1. Januar 2021 ausgeführte Leistungen weiterhin anwenden wollen (Optionserklärung). Diese Optionserklärung war durch die jPdöR für sämtliche von ihr ausgeübte Tätigkeiten einheitlich abzugeben; eine Beschränkung auf einzelne Tätigkeitsbereiche oder Leistungen war nicht zulässig. Durch das Corona-Steuerhilfegesetz erfolgte zunächst ein zeitlicher Aufschub für die verpflichtende Anwendung der Neuregelung bis zum 31. Dezember 2022. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Jahressteuergesetz 2022 erfolgte dann eine nochmalige Verlängerung der Optionsfrist bis zum 31. Dezember 2024 (vgl. § 27 Abs. 22, 22a UStG).

Mit der Neuregelung wurde die bisherige Regelung des § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) aufgehoben und durch § 2b UStG ersetzt. Durch die Neuregelung erfolgt zudem eine Abkoppelung der Umsatzsteuer von der ertragsteuerlichen BgA-Prüfung, d. h. die Frage, ob eine Leistung umsatzsteuerbar und ggf. umsatzsteuerpflichtig ist, ist losgelöst von der Frage, ob ertragsteuerlich ein BgA besteht, zu würdigen. Auswirkungen auf die aus körperschaftsteuerlicher Sicht vorzunehmende BgA-Prüfung ergeben sich nicht.

Autor: Sebastian Kirschbaum Drucken nächstes Kapitel