3. Gekorene Selbstverwaltungsaufgaben der Verbandsgemeinde

Bei den gekorenen Selbstverwaltungsaufgaben der Verbandsgemeinde ist zu unterscheiden zwischen Aufgaben,

  • der Verbandsgemeinde von einzelnen Ortsgemeinden nach § 67 Abs. 5 GemO übertragen werden.

§ 67 Abs. 3 GemO wurde durch das Zweite Landesgesetz über die Kommunal- und Verwaltungsreform vom 28. August 2010 (GVBl. S. 280) eingefügt. Er ermöglicht der Verbandsgemeinde, die Aufgaben der Wirtschaftsförderung und der Fremdenverkehrsförderung als eigene Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen. Die Aufgabenausübung durch die Verbandsgemeinde ist allerdings auf Angelegenheiten beschränkt, die von überörtlicher Bedeutung sind. Zur Wahrnehmung der Aufgaben der Wirtschaftsförderung und der Fremdenverkehrsförderung bedarf es eines Beschlusses des Verbandsgemeinderats. Damit liegt ein deutlicher Unterschied zu Aufgabenübertragungen nach § 67 Abs. 4 und 5 GemO vor, die eine Mitwirkung der Ortsgemeinden erfordern. Andererseits hat der Gesetzgeber eine gesetzliche und die Zuständigkeit der Ortsgemeinden verdrängende Kompetenzzuweisung vermieden, wie sie in § 67 Abs. 1 GemO enthalten ist. Der Verbandsgemeinde ist vielmehr eine Zugriffsoption eingeräumt und das für eine Aufgabenübernahme nach § 67 Abs. 4 GemO erforderliche dringende öffentliche Interesse an der gemeinsamen Erfüllung ist in § 67 Abs. 3 GemO kraft Gesetzes gegeben. Damit scheint der Gesetzgeber – zumindest bezogen auf die kommunale Fremdenverkehrsförderung – Erkenntnisse aus dem Urteil des OVG RP vom 11. August 2008 – 2 C 11333/07.OVG – umgesetzt zu haben. Denn grundsätzlich ist es durchaus sinnvoll, die Aufgabe der kommunalen Tourismusförderung auf der Ebene der Verbandsgemeinde wahrzunehmen, da sich der Tourismus seit Bildung der Verbandsgemeinden Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre stark gewandelt hat. Vor dem Hintergrund der Ausgestaltung dieser Kompetenz-Kompetenz im Wege einer der Verbandsgemeinde eingeräumten Zugriffsoption ist die Beschränkung auf die Aufgaben von überörtlicher Bedeutung geboten. Die Abgrenzung von Aufgaben mit überörtlicher und örtlicher Bedeutung ist unabhängig davon zu sehen, was auf der Grundlage von § 68 Abs. 1 GemO ohnehin Aufgabe der Verbandsgemeindeverwaltung in den Bereichen Wirtschafts- und Fremdenverkehrsförderung ist. Das ist die verwaltungsmäßige Abwicklung von allen diesbezüglichen Angelegenheiten. Hinzu kommt ihre Beratungs- und Unterstützungsfunktion nach § 70 Abs. 2 Satz 1 GemO, die gerade in den Bereichen Wirtschafts- und Tourismusförderung in eine Steuerungsaufgabe münden kann. Nimmt die Verbandsgemeinde ihre Zugriffsoption auf eine der beiden Aufgaben oder auf beide Aufgaben wahr, so gehen alle damit im Zusammenhang stehenden Aufgaben von überörtlicher Bedeutung auf sie über. Für eine teilweise Übernahme bzw. Aufgabenwahrnehmung bietet § 67 Abs. 3 GemO keine Option.

Nach § 67 Abs. 4 GemO kann die Verbandsgemeinde ebenfalls im Rahmen der Kompetenz-Kompetenz weitere Selbstverwaltungsaufgaben der Ortsgemeinden übernehmen, soweit deren gemeinsame Erfüllung im dringenden öffentlichen Interesse liegt. Weitere Voraussetzung der Aufgabenübernahme durch die Verbandsgemeinde ist, dass (erstens) die Verbandsgemeinde und (zweitens) mehr als die Hälfte der Ortsgemeinden zustimmen und (drittens) in den zustimmenden Ortsgemeinden die Mehrzahl der Einwohner der Verbandsgemeinde wohnen.

Das dringende öffentliche Interesse an der Erfüllung einer Selbstverwaltungsaufgabe der Ortsgemeinden durch die Verbandsgemeinde liegt nicht bereits dann vor, wenn sie zweckmäßig ist. Vielmehr muss sich die Notwendigkeit der Aufgabenwahrnehmung auf der Ebene der Verbandsgemeinde aufdrängen, weil der Verbleib der Aufgabe bei den Ortsgemeinden, einschließlich der Befugnis von ihrer Wahrnehmung abzusehen, praktisch nicht mehr vertretbar ist. Ein solcher Fall liegt vor, falls Ortsgemeinden ihrer Aufgabenverantwortung nicht (mehr) gerecht werden, die Wahrnehmung der Aufgabe durch die Verbandsgemeinde aber dem jedenfalls weit überwiegenden Teil der Ortsgemeinden einen nennenswerten Vorteil bringen wird. Bei der Beurteilung, ob diese Voraussetzung vorliegt, kommt den kommunalen Gremien jedoch ein Einschätzungsspielraum zu. Ein in diesem Sinne dringendes öffentliches Interesse an der Übernahme der Aufgabe Fremdenverkehrsförderung durch die Verbandsgemeinde besteht dann, wenn Ortsgemeinden ihrer Aufgabenverantwortung nicht (mehr) gerecht werden, die Wahrnehmung der Aufgabe auf der Ebene der Verbandsgemeinde aber dem jedenfalls weit überwiegenden Teil der Ortsgemeinden einen nennenswerten Vorteil bringen wird (OVG RP, Urteil vom 11. August 2008 – 2 C 11333/07.OVG -). Mit dem neu eingefügten § 67 Abs. 3 GemO hat zwar die Aufgabenübernahme Fremdenverkehrsförderung auf der Grundlage von § 67 Abs. 4 GemO an Bedeutung verloren. Dennoch kann die Aufgabenübernahme nach § 67 Abs. 4 GemO den praktischen Bedürfnissen entsprechen. Dies ist der Fall, wenn es nicht sinnvoll oder gewollt ist, dass die Verbandsgemeinde die Fremdenverkehrsförderung von überörtlicher Bedeutung gänzlich übernimmt. Andererseits ist eine Übernahme der Fremdenverkehrsförderung von örtlicher Bedeutung nur auf dieser Grundlage möglich.

Hat eine Verbandsgemeinde die Aufgabe „überörtliche Maßnahmen im Bereich des Tourismus“ übernommen, so ist sie befugt, die Sanierung einer in ihrem Gebiet befindlichen Jugendherberge finanziell zu fördern.

Mit der Übernahme der Aufgabe durch die Verbandsgemeinde ist ein Übergang des Vermögens und der Lasten nicht verbunden. Hierzu bedarf es gesonderter Vereinbarungen. Die Erklärung der Verbandsgemeinde zur Aufgabenübernahme stellt gegenüber den Ortsgemeinden einen Verwaltungsakt dar, der im Wege der Anfechtungsklage angefochten werden kann. Ist die Erklärung zur Aufgabenübernahme bestandskräftig, so ist die Aufgabenübernahme für die Ortsgemeinden nicht mehr anfechtbar.

Zur Übertragung einer Selbstverwaltungsaufgabe von einer einzelnen Ortsgemeinde auf die Verbandsgemeinde bedarf es nach § 67 Abs. 5 GemO lediglich eines entsprechenden Beschlusses des Ortsgemeinderats und der Zustimmung des Verbandsgemeinderats. Eine solche Aufgabenübertragung kommt insbesondere für leistungsschwache Ortsgemeinden in Betracht. Da als Folge einer solchen Aufgabenübertragung die Verbandsgemeinde eine bestimmte Aufgabe – in der Regel – nicht für alle Ortsgemeinden erfüllt, kann bzw. muss sie nach § 26 Abs. 2 des Landesfinanzausgleichsgesetzes (LFAG) von der betreffenden Ortsgemeinde eine Sonderumlage erheben. § 67 Abs. 5 GemO lässt es zu, dass alle der entsprechenden Verbandsgemeinde angehörenden Ortsgemeinden die betreffende Selbstverwaltungsaufgabe übertragen.

Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 KiTaG gilt für die Übernahme der Trägerschaft von Kindertagesstätten zunächst der Vorrang der freien Träger. Steht ein solcher nicht zur Verfügung, obliegt die Trägerschaft für in einem Bedarfsplan des Jugendamtes vorgesehene Kindertagesstätte den Ortsgemeinden als Pflichtaufgabe der Selbstverwaltung. § 5 Abs. 4 Satz 2 KiTaG lautet: „Die Aufgabe kann auch erfüllt werden, wenn die Trägerschaft von der Verbandsgemeinde oder einem Zweckverband übernommen wird.“

Bezüglich der Trägerschaft einer Kindertagesstätte erscheint eine Übernahme ohne entsprechenden Klärungsprozess nicht möglich.

Wird eine neue KiTa geschaffen, für die sich kein freier Träger findet, oder gibt ein freier Träger die Trägerschaft einer KiTa auf, ist zunächst die Sitzgemeinde der Einrichtung zu fragen, ob sie zur Übernahme der Trägerschaft bereit ist. Lehnt sie dies ab, kann die VG die Aufgaben nach § 5 Abs. 4 Satz 2 KiTaG in der Tat übernehmen, ohne dass es eines Verfahrens nach § 67 Abs. 4 oder 5 GemO bedarf. Der Verbandsgemeinderat muss beschließen, diese Einrichtung durch die Verbandsgemeinde zu übernehmen (§ 32 Abs. 2 Nr. 6 und 14 i. V. m. § 64 Abs. 2 GemO).

War bisher eine Ortsgemeinde Trägerin einer KiTa und will sie diese Aufgabe der Verbandgemeinde übertragen, gilt § 67 Abs. 5 GemO.

Wenn die Verbandsgemeinde die Trägerschaft aller kommunalen KiTa von den allen Ortsgemeinden übernehmen will, gilt § 67 Abs. 4 GemO.

Die meisten Ortsgemeinden in Rheinland-Pfalz sind Waldbesitzer. Wald, welcher sich im Eigentum von Gemeinden oder von juristischen Personen des Privatrechts befindet, an denen die Gemeinde die Anteilsmehrheit besitzt, sowie Wald im Alleineigentum eines Zweckverbandes befindet, wird – entsprechend dem Rechtscharakter der Waldeigentümer – als Körperschaftswald bezeichnet (§ 2 Nr. 2 LWaldG). Wenn Körperschaften mehr als die Hälfte der reduzierten Holzbodenfläche gehören, entscheiden sie, ob sie die Revierleitung durch staatliche oder kommunale Bedienstete durchführen lassen (§ 28 Abs. 1 Satz 1 LWaldG). Bei Revierleitung durch staatliche Revierleiter erstatten die Gemeinden dem Land anteilige Personalkosten (§ 28 Abs. 2 Satz 1 LWaldG), bei Revierleitung durch kommunale Revierleiter erhalten die Waldbesitzer Zuweisungen des Landes (§ 28 Abs. 3 LWaldG). Der Anteil des Landes an den Personalkosten entspricht dem Interesse der Allgemeinheit an den Funktionen des Waldes. Die Revierleitung durch kommunale Revierleiter in Verbandsgemeinden ist vielfach sinnvoll nur möglich, wenn die Verbandsgemeinde die Aufgabe übernimmt und Anstellungskörperschaft der Revierleiter ist oder wenn ein Zweckverband gebildet wird. Die Aufgabenübernahme durch die Verbandsgemeinde kann gemäß § 67 Abs. 4 oder 5 GemO erfolgen. Um die „Klippe“ des erforderlichen „dringenden öffentlichen Interesses“ zu umschiffen, bietet sich der Weg über § 67 Abs. 5 GemO an. Ortsgemeinden, welche die Aufgabe nicht übertragen wollen, haben in diesem Fall die Freiheit, sich einem staatlichen Forstrevier anzuschließen. Bei Übertragung der Aufgabe der Revierleitung auf die Verbandsgemeinde ist der Bürgermeister Vorgesetzter des Revierleiters, und die Zustimmung zu Personalentscheidungen nach § 47 Abs. 2 i.V.m. § 64 Abs. 2 GemO muss der Verbandsgemeinderat oder ein von ihm beauftragter Ausschuss erteilen.

Autor: Moritz Petry, Stefan Heck Drucken voriges Kapitel nächstes Kapitel