1. Beschlussfassung in Präsenzsitzungen, im Umlaufverfahren, mittels Video- oder Telefonkonferenzen oder mittels Hybridsitzungen
Beschlüsse des Gemeinderats konnten bis zum Jahr 2020 nur in Präsenzsitzungen gefasst werden. Beschlüsse im Umlaufverfahren kannte die Gemeindeordnung nicht. Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie eröffnete der Landesgesetzgeber im Jahr 2020 den Kommunen, zunächst befristet, seit dem Jahr 2023 unbefristet, durch § 35 Abs. 3 GemO in besonderen krisenbedingten Ausnahmesituationen die Möglichkeit, Beschlüsse der kommunalen Vertretungskörperschaften und ihrer Ausschüsse auch im schriftlichen oder elektronischen Umlaufverfahren oder mittels Video- oder Telefonkonferenzen zu fassen, um die Handlungsfähigkeit der kommunalen Vertretungskörperschaften und ihrer Ausschüsse sicherzustellen. Der Landesgesetzgeber ermöglichte im Jahr 2023 darüber hinaus die digitale Sitzungsteilnahme durch die Zuschaltung von Ratsmitgliedern mittels Ton- und Bildübertragung gemäß § 35 a Abs. 1 GemO (Hybridsitzung), soweit der Gemeinderat dies in der Geschäftsordnung zugelassen hat.
a)
Die Gemeindeordnung sieht die öffentlichen Präsenzsitzungen des Gemeinderates als Regelfall vor. Der Grundsatz der Öffentlichkeit von Ratssitzungen ist ein wesentliches Grundprinzip des Kommunalrechts, welcher sich aus dem Demokratieprinzip des Artikel 20 Abs. 1 GG bzw. Artikel 74 Abs. 1 der Landesverfassung ableitet. Gemeint ist damit eine Sitzungsöffentlichkeit, also die Möglichkeit der persönlichen Teilnahme an einer solchen Sitzung.
b)
Bei der Durchführung eines Umlaufverfahrens im Fall einer krisenbedingten Ausnahmesituation darf kein Ratsmitglied widersprechen. Diese Vorgabe der Einvernehmlichkeit gewährleistet, dass das Umlaufverfahren nur bei einem entsprechenden Erfordernis und in absoluten Ausnahmefällen eingesetzt wird. Das Umlaufverfahren eignet sich insbesondere bei unstreitigen Beratungsgegenständen. Das Umlaufverfahren wird durch die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister eingeleitet. Jedem Ratsmitglied ist eine Beschlussvorlage zur Verfügung zu stellen, welche alle zur Abstimmung erforderlichen Informationen und eine Frist enthält, bis zu der eine Stimmabgabe erfolgen muss. Auf die Möglichkeit des Widerspruchs ist hinzuweisen. Außerdem muss gewährleistet sein, dass zwischen Zugang der Beschlussvorlage und der zeitlichen Vorgabe für die Abgabe der Stimme eine angemessene Frist verbleibt, um inhaltliche Nachfragen bei der Verwaltung und eine Diskussion innerhalb der Ratsfraktionen zu ermöglichen. Die fehlende Antwort eines Ratsmitglieds kann nicht als stillschweigende Zustimmung ausgelegt werden. Es empfiehlt sich eine Abstimmung in Textform, um eine dauerhafte Wiedergabe des Erklärungsinhalts sicherzustellen. Die im Umlaufverfahren gefassten Beschlüsse sind dem Rat in der nächsten Präsenzsitzung zur Bestätigung vorzulegen. Eine Aufhebung des Beschlusses ist nur möglich, soweit nicht bereits Rechte Dritter entstanden sind.
c)
Für die Durchführung von Video- und Telefonkonferenzen im Fall einer akuten und außergewöhnlichen Notlage bedarf es der Zustimmung von zwei Dritteln der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder, die zu dokumentieren ist. Besondere Formvorgaben an diese Zustimmungserklärung sind gesetzlich nicht ausdrücklich vorgegeben. Die Urheberschaft der Zustimmungserklärung ist allerdings auf geeignetem Wege sicherzustellen.
d)
Der Öffentlichkeit sind die im Umlaufverfahren oder mittels Video- oder Telefonkonferenz gefassten Beschlüsse unverzüglich bekannt zu geben, sofern nicht Gründe des Gemeinwohls oder schutzwürdige Interessen Einzelner dem entgegenstehen. Siehe ferner § 35 Abs. 3 Satz 4 und 5 GemO.
e)
§ 35 a GemO beinhaltet die gesetzlichen Voraussetzungen, um auch außerhalb von Notlagen im Sinne des § 35 Abs. 3 GemO an kommunalen Gremiensitzungen ohne körperliche Anwesenheit im Sitzungsraum teilnehmen zu können (Hybridsitzung). Dabei entscheidet der Gemeinderat in eigener Verantwortung, ob er durch Regelung in der Geschäftsordnung mit einer Zweidrittelmehrheit der gesetzlichen Zahl der Ratsmitglieder die Möglichkeit der Zuschaltung von Ratsmitgliedern über ein Videokonferenzsystem eröffnet. Der Gemeinderat kann die digitale Teilnahme nach § 35 a Abs. 1 Satz 3 GemO von besonderen Gründen abhängig machen, welche die persönliche Anwesenheit in der Präsenzsitzung erschweren oder unmöglich machen (z. B. Krankheit, Urlaub, Dienstreise, Kinderbetreuung). Auch eine zahlenmäßige Begrenzung der zuschaltbaren Ratsmitglieder, eine Beschränkung auf öffentliche Sitzungen, ein Ausschluss für (bestimmte) Ausschusssitzungen oder für bestimmte Beratungsgegenstände, z. B. solche, die der besonderen Geheimhaltung unterliegen, sind Beispiele für Regelungen, die in der Geschäftsordnung vorgesehen werden können. § 35 a Abs. 1 Satz 5 GemO bestimmt, dass die Teilnahme mittels Ton- und Bildübertragung nicht zugelassen werden darf bei konstituierenden Sitzungen, Satzungsbeschlüssen sowie bei geheimen Abstimmungen und Wahlen. In diesen Fällen gelten die zugeschalteten Ratsmitglieder als nicht anwesend im Sinne des § 39 Abs. 1 GemO (siehe auch vorne I.).